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Talk – Kapitalismus und Marktwirtschaft

14.03.2024
Felix Niederer
Zu Gast: Jürg Müller, Direktor von Avenir Suisse

Swissair-Grounding, UBS-Notrettung, Credit-Suisse Debakel: Das Versagen eines Teils der wirtschaftlichen Elite unseres Landes kommt uns teuer zu stehen. Dass sich nun auch eine Selbstbedienungsmentalität in Volksabstimmungen niederschlägt, darf nicht erstaunen.

Der Ursprung des Problems sind systemische Risiken, von denen wenige profitieren, deren Kosten aber die Allgemeinheit trägt. Das zerstört das Vertrauen in marktwirtschaftliche Prinzipien und letztendlich die Grundlagen für eine freie, offene und demokratische Gesellschaft.

Einer der wenigen, die transparent machen, worin der Konstruktionsfehler unseres Finanzsystem liegt, ist Jürg Müller, Ökonom und Direkter von Avenir Suisse. Sein Lösungsvorschlag in seinem neusten Buch «Kapitalismus und Marktwirtschaft» ist revolutionär und irritierend gleichzeitig.

Inhaltsverzeichnis:

02:23 - Unterschied zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft?
04:27 - Die Erfindung der Kapitalgesellschaften und ihre Folgen
16:00 - Bank Runs: Der volkswirtschaftliche Schaden systemischer Risiken
28:03 - Die Solvenzregel als Lösungsvorschlag
37:34 - Die Zukunft von Finanzdienstleistungen in einer digitalen Welt
46:14 - Ein marktbasiertes, dezentrales Modell als Lösung
58:18 - Die politische Machbarkeit

Die Motivation hinter dem Buch «Kapitalismus und Marktwirtschaft»

Jürg, was war die Motivation, dieses Buch zu schreiben?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf unser erstes Buch zurückblicken. Die Motivation für dieses Buch war eng mit der Finanzkrise von 2008 verbunden. Nach der Krise von 2008 arbeitete mein Co-Autor in einer Bank, während ich in der akademischen Welt war und in diesem Bereich promovierte. Wir waren beide unzufrieden mit der Art und Weise, wie sowohl die akademische Welt als auch die Industrie auf die Krise reagierten.

Wir trafen uns wieder einmal in einem Londoner Pub, und wie es manchmal so ist, kam uns dort eine Idee - nicht unbedingt eine nüchterne, sondern eher eine spontane: «Lasst uns ein Buch schreiben». So fing alles an. Diese Motivation war der Ausgangspunkt für unser erstes Buch - die genaue Analyse dessen, was in der Finanzwelt schief gelaufen war. Wir haben uns gefragt, ob die Digitalisierung dabei eine Rolle spielt und ob es Möglichkeiten gibt, die Dinge besser zu machen. Das Buch zu schreiben war ein langer Prozess. Was als spontane Idee begann, entwickelte sich zu einem ernsthaften Projekt. Das erste Buch war relativ technisch und mikroökonomisch orientiert. Es gab uns die Möglichkeit, mit Experten zu diskutieren und wurde in acht Sprachen übersetzt. Es löste jedoch keine breite öffentliche Debatte aus, da es sich um einen visionären Blick in die Zukunft handelte. Aufgrund dieses Feedbacks haben wir beschlossen, das Thema neu zu überdenken und uns zu fragen, wie wir unsere Vision in die Realität umsetzen können. Deshalb haben wir uns entschieden, einen Schritt zurückzutreten, das Problem auf einer makroökonomischen Ebene zu betrachten und zu überlegen, wie wir unsere Ziele erreichen können.

Definition von Kapitalismus und Marktwirtschaft

Wir sind dabei von der allgemein vorherrschenden Definition von Kapitalismus ausgegangen. Diese Definition setzt zwei Themen in den Mittelpunkt. Zum einen Eigentumsrechte und zum anderen Märkte. Das ist eine konzeptionelle Definition von Kapitalismus. Es gibt aber auch das Verständnis von Kapitalismus als eine Epoche in der Geschichte. Diese hat mit der industriellen Revolution, zwischen dem 17. Jahrhundert und dem 18. Jahrhundert in England, angefangen. Heute ist die ganze Wirtschaftsordnung so. Wenn man nun die beiden Definitionen, die konzeptionelle und die historische Definition, nebeneinander stellt, dann sieht man, dass sie nicht deckungsgleich sind. Eigentumsrechte und Märkte gab es schon seit Jahrhunderten, wenn nicht schon seit Jahrtausenden. Aber in der Phase, die wir heute Kapitalismus nennen, ist etwas anderes passiert. Wir glauben, dass das, was dort passiert ist, das definierende Element von Kapitalismus ist und dass Marktwirtschaft, im Sinne von Eigentumsrechten und freiem Austausch, etwas anderes ist, als das, was damals in dieser Zeit passiert ist und unsere Wirtschaftsordnung bis heute prägt.

Die Existenz von Kapitalgesellschaften

Ein grundlegendes Element zum Verständnis des Kapitalismus ist die Existenz von Kapitalgesellschaften. Berühmte Beispiele sind die kolonialen Handelsgesellschaften wie die East India Company und die Hudson's Bay Company, die den Rechtsbegriff der Kapitalgesellschaft geprägt haben. Die Gründung der Bank of England markierte einen Wendepunkt, indem sie die Kapitalgesellschaften mit den seit langem bestehenden Finanzpraktiken des Bankwesens verband. Diese Verschmelzung von Kapitalgesellschaften mit dem Bankwesen war revolutionär, denn sie ermöglichte die Schaffung von Geld und Kredit in einem nie dagewesenen Ausmass.

Viele Menschen gehen fälschlicherweise davon aus, dass Geld ausschliesslich von Zentralbanken geschaffen wird und diese das Monopol der Geldschöpfung besitzen. Dies ist jedoch nicht ganz richtig. Während Zentralbanken das Monopol auf Banknoten und andere Formen von physischem Geld haben, wird Geld auch in den Bilanzen von Geschäftsbanken geschaffen, bekannt als Buchgeld. Der Grossteil des Geldes, das wir verwenden, sei es beim Einkauf im Supermarkt oder beim Bezahlen mit der Kreditkarte, existiert in Form von Giralgeld auf den Bankbilanzen. Es war die Bank of England, die diese Innovation einführte: die Möglichkeit, Geld nicht nur physisch zu schaffen, sondern auch auf den Bilanzen von Kapitalgesellschaften.

Der Trick der doppelten Buchführung, Bilanzen zu verlängern und Geld zu schaffen, war bereits bekannt. Aber erst durch die Bank of England konnte dieses Konzept im gesamten System verbreitet und auf die Bilanzen von Kapitalgesellschaften angewendet werden. Kapitalgesellschaften ermöglichen die Aggregation von Kapital und bieten eine Flexibilität, die für die Finanzierung kapitalintensiver Prozesse entscheidend ist.

Der Pakt zwischen dem englischen König und der Bank von England, den wir in diesem Buch ausführlich beschreiben, zeigt, dass Kapitalgesellschaften nicht einfach aus privaten Vertragsbeziehungen entstehen. Der Souverän, in diesem Fall der König, spielte eine entscheidende Rolle, indem er den Unternehmen durch eine «royal charter», also ein königliches Dekret, eine eigene Rechtspersönlichkeit verlieh. Dieses Konzept der beschränkten Haftung, das auch heute noch gilt, ermöglichte es den Kapitalgesellschaften, Kapital aufzunehmen und ihre Aktivitäten auszuweiten.

Der Bank Run und die digitale Revolution

Die Bank von England schloss einen Pakt mit dem König, der es ihr erlaubte, eine Kapitalgesellschaft zu sein und nicht eine persönlich haftende Gesellschaft. Dies geschah im Zusammenhang mit der Kriegsfinanzierung, wie so oft in der Geschichte. Ein bekannter Ökonom und Wirtschaftshistoriker behauptet, dass alle Zentralbanken des 18. Jahrhunderts gegründet wurden, um Kriege zu finanzieren. Die Bank of England wurde gegründet, um die Schulden des Königs zu monetarisieren. Durch den Verkauf von Aktien und die Ausgabe von Banknoten finanzierte sie die Schulden des Königs. Diese öffentlich-private Partnerschaft ermöglichte es, die Wirtschaft vor der Deflationsfalle zu bewahren und das Wirtschaftswachstum zu unterstützen.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis das erste Problem der Bank of England auftrat. Dieses Problem manifestierte sich in Form eines Bank Runs. Ein «Bank Run» beschreibt das Phänomen, dass viele Menschen gleichzeitig versuchen, ihre Buchguthaben bei der Zentralbank in Bargeld umzutauschen. Dies kann dazu führen, dass Banken illiquide werden und zusammenbrechen, wodurch sich das Systemrisiko realisiert. Obwohl dieses systemische Risiko bereits vor dem Aufkommen von Aktiengesellschaften existierte, hat es durch sie eine neue Dimension erreicht. Der «Bank Run» der Bank of England manifestierte sich relativ schnell und führte zu einer staatlichen Intervention. In der Krise drohte die Bank illiquide zu werden und zusammenzubrechen. Der Souverän griff ein und erlaubte der Bank, vertragliche Bestimmungen zu verletzen (eine Art Gläubigerschutz), was sie vor der Liquidation bewahrte. Diese Art der Intervention, die heute als «bail out» bezeichnet wird, hat zwar geholfen, aber langfristig falsche Anreize gesetzt. Als Bank hat man plötzlich einen Anreiz, mehr Risiken einzugehen, weil man weiss, dass man in schlechten Zeiten gerettet wird. Nach der Bank of England kamen andere Banken, und es entstand eine Art Ökosystem von Banken und der Bank of England. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Bank of England schliesslich zu einer Zentralbank, die als «Lender of Last Resort» fungierte und so für Stabilität sorgte.

Eine weitere entscheidende Zäsur war die «Great Depression», in der der Übergang von goldgedecktem Geld zu Papiergeld vollzogen wurde. Damit erhielten die Zentralbanken neue Interventionsmöglichkeiten. Wenn sie Geld aus dem Nichts schaffen können, werden sie nie wieder illiquide. Mit der digitalen Revolution seit den 1970er Jahren hat sich das Finanzsystem noch einmal grundlegend verändert. Geschwindigkeit und Komplexität der Finanztransaktionen haben zugenommen, was die Stabilisierung des Systems erschwert. Die traditionelle Kontrolle einzelner Bankbilanzen hat an Wirksamkeit verloren, da Geld ausserhalb des traditionellen Bankensystems geschaffen wird. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass immer mehr Institutionen, darunter auch Investmentbanken und Versicherungen, gerettet werden müssen, wenn systemische Risiken durch Finanzkontrakte entstehen und das System bei Illiquidität zu kollabieren droht. Die zunehmende Vernetzung und Komplexität des Finanzsystems hat die Notwendigkeit eines neuen Ansatzes zur Stabilisierung des Systems deutlich gemacht.

Das Problem mit Boom-Bust Zyklen

Die systemischen Risiken, die zu den Boom-Bust-Zyklen führen, erzeugen Kettenreaktionen, die die gesamte Wirtschaft beeinflussen. Warum ist das problematisch und welchen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht es?

Die einfache Antwort lautet: Es verzerrt die Ressourcenallokation. Im Boom und im Abschwung werden Arbeitskraft, Zement oder Stahl aufgrund verzerrter Preise falsch eingesetzt. Die Eurokrise nach 2008, in der teilweise ganze Geisterstädte entstanden sind, lieferte dafür ein anschauliches Beispiel. Obwohl der Markt als effizient gilt, zeigte der Kreditboom, dass die Ressourcenallokation während des Aufschwungs nicht effizient war. Es wurden Häuser und Infrastruktur gebaut, die eigentlich nicht gebraucht wurden. In Spanien beispielsweise führte der Boom dazu, dass Menschen ihre Ausbildung abbrachen, um in die Bauindustrie einzusteigen, obwohl dort kein Bedarf bestand. Dies führte zu einer Fehlallokation von Humankapital. Der Boom-Bust-Zyklus ist eine Verschwendung von Humanressourcen und steht für eine ineffiziente Allokation. In der Krise brechen einige Banken zusammen, andere werden gerettet, aber die Arbeitslosigkeit steigt. Dies ist wiederum ein Zeichen für Fehlallokation: Arbeit kann nicht produktiv eingesetzt werden. Es ist ein Zeichen für eine dauerhaft ineffiziente Allokation. Es ist wichtig zu betonen, dass es nicht die Marktwirtschaft an sich ist, die den Boom-Bust-Zyklus hervorruft, sondern das gegenwärtige Design des Kapitalismus, insbesondere die Kombination aus der kapitalgesellschaftlichen Form und dem Bankwesen.

Finanzdienstleistungen in einer digitalen Welt

Ihr präsentiert in eurem Buch ein überzeugendes Beispiel dafür, wie Finanzdienstleistungen in einer digitalen Welt effizient abgebildet werden können, ohne Kettenreaktionen auszulösen. Ihr beschreibt ein Unternehmen, in dessen Bilanz Aktiva und Passiva miteinander verknüpft sind. Dabei können Passivpositionen des einen Unternehmens als Aktivpositionen eines anderen Unternehmens dienen und umgekehrt. Dieser als Leverage bekannte Mechanismus kann zu einem Dominoeffekt führen, bei dem der Ausfall eines Unternehmens weitere schwerwiegende Folgen nach sich zieht. Ein prominentes Beispiel ist das CS-UBS-Debakel. Aber auch das Beispiel, das ihr in eurem Buch aufführt, zeigt dies sehr schön am Beispiel des «Peer-to-Peer Lending». Natürlich haben Unternehmen einen Finanzierungsbedarf. Ein KMU braucht einen Kredit und klassischerweise kommt dann die Bank ins Spiel, die bereits ein Vertrauensverhältnis zum KMU aufgebaut hat und sagt: «Okay, ich kenne dich schon lange, ich gebe dir jetzt eine Kreditlinie von zum Beispiel 100’000 Franken.» In einer digitalen Welt laufen solche Geschäfte über ein Scoring-Modell. Man bewertet das Kreditrisiko eines bestimmten Kredits, das dann die Höhe des Zinssatzes bestimmt. Auf der anderen Seite gibt es auch Investoren, die sagen: «Hey, ich gebe mein eigenes Kapital, weil ich es ja irgendwie anlegen muss, und da investiere ich einen Teil meines Geldes.» Das kann man auch digital aggregieren, aber dann hast du den Dominoeffekt nicht mehr.

Wenn man dezentral sagt, denken immer alle an Blockchain. Das ist eine spannende Technologie. Aber wenn wir dezentral sagen, meinen wir etwas anderes. Wir meinen ein ‘dezentrales Rechnungswesen’. In der heutigen Finanzarchitektur hat man in der Mitte die grossen Bilanzen, die systemische Risiken erzeugen. Dann hat man auf der einen Seite diejenigen, die sparen, und auf der anderen Seite diejenigen, die Geld brauchen, und alles läuft über die zentrale Bilanz. Wenn dort eine Bilanz kippt, dann haben wir diesen Dominoeffekt. Durch die digitale Revolution hat sich das geändert. Man kann die Bilanzen direkt verbinden, man braucht nicht mehr die grossen Bilanzen im Zentrum. So kann man die ganze Architektur stabiler und marktbasierter aufbauen.

Die systemische Solvenzregel

Es gibt ein System, das systemische Risiken erzeugt und staatlich abgesichert wird, wovon alle Beteiligten profitieren, aber ein marktwirtschaftliches System kann sich so nicht entwickeln. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und entspricht der langjährigen Forderung von Ökonomen, die betonen, dass die Kontrolle systemischer Risiken in diesem Sektor unerlässlich ist. Unsere Lösung ist die Einführung einer systemischen Solvenzregel. Diese Regel würde sicherstellen, dass die Kosten der Sicherheitsnetze internalisiert werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für beide Sektoren zu schaffen.

Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Ansatz bereits in eine neue Welt der systemischen Solvenz integriert ist. In der heutigen Welt reicht es nicht aus, die systemischen Risiken zu kontrollieren, da sofort ein Schattenbankensektor entstehen würde. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, zuerst die Regel der systemischen Solvenz einzuführen. In unserem Buch zeigen wir Schritt für Schritt, wie dies erreicht werden kann.

Nach der Einführung der systemischen Solvenzregel kann das Finanzsystem in zwei Teile geteilt werden. In einem Teil, der systemische Risiken schafft, können Massnahmen ergriffen werden, um diese Risiken besser zu kontrollieren und die Kosten zu internalisieren. Dies würde sicherstellen, dass beide Arten von Finanzsystemen auf dem gleichen Niveau operieren. Diese Trennung ist jedoch nur als Übergangsphase gedacht.

Die Internalisierung der Kosten bedeutet, dass diejenigen, die systemische Risiken verursachen und davon profitieren, auch für den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schaden aufkommen sollten. Dies ist keine moralische Frage, sondern eine Frage des Systemdesigns. Ähnlich wie bei der Einführung einer CO2-Abgabe würde eine solche Massnahme das gesamte System verändern und das Verhalten der Akteure beeinflussen. Durch die Festlegung eines angemessenen Preises ist zu erwarten, dass sich das dezentrale und schlanke Modell langfristig durchsetzen wird.

Mein Co-Autor und ich sind davon überzeugt, dass sich das marktbasierte, dezentrale und schlanke Modell gegenüber dem zentralistischen, schwerfälligen und risikobehafteten Modell durchsetzen wird. In unserem Buch skizzieren wir die Gründe für diese Annahme und zielen auf die Etablierung eines marktwirtschaftlichen Finanzsystems ab.

Marktbasiertes, dezentrales Modell als Lösung

Im Vergleich zum ersten Buch sind wir einen Schritt zurückgegangen. Im ersten Buch haben wir uns sehr stark auf die technischen Aspekte konzentriert und einen konkreten technischen Vorschlag gemacht. Dies findet sich im vorletzten Kapitel. Im letzten Kapitel geht es um die internationale Dimension. Dort diskutieren wir das Thema Geld. Wir glauben, dass eine Diskussion über Geld notwendig ist, wenn wir die systemischen Risiken, insbesondere die Praxis der Geldschöpfung aus Krediten, beseitigen wollen. Denn dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir weiterhin Geldpolitik betreiben können.

Das Schöne ist, dass verschiedene Arten von Geldpolitik auch weiterhin funktionieren würden. Jede Form hat ihre Vor- und Nachteile. Wir schlagen eine Möglichkeit vor, die wir für erwägenswert halten, da sie noch nie zuvor umgesetzt wurde und interessante Möglichkeiten bietet. Wir können verschiedene Ansätze verfolgen. Wenn wir über systemische Risiken und die Änderung der Geldschöpfung durch Kredite diskutieren, stellt sich die Frage: Wie können wir alternativ Geld schaffen? Wir skizzieren verschiedene Optionen. Eine Option ist ein digitales Zentralbankgeld, das auch negative Zinsen haben kann, da es digital ist.

Unser Vorschlag baut auf dem Konzept auf, das wir bereits im ersten Buch entwickelt haben. Wir schlagen ein System rein digitalen Geldes vor, bei dem eine bestimmte Menge pro Kopf in der Wirtschaft zirkuliert. Dies wäre ein interessantes Modell, aber es hat auch Nachteile. Es würde eine Art Geldinjektion pro Kopf in einem bestimmten Zeitraum geben, und das Geld würde über eine Art Liquiditätsgebühr zurückfliessen. Dieses Konzept wurde in der Ökonomie oft diskutiert, um zu verhindern, dass zu viel Geld in der Wirtschaft gehortet wird. Tatsächlich ist dies während der Phase negativer Zinsen geschehen. Das Geld wurde gehortet und ist nicht in den Wirtschaftskreislauf zurückgeflossen. Um dieses Problem zu lösen, müssen den Zentralbanken Instrumente zur Verfügung gestellt werden, um eingreifen zu können. Die genaue Höhe der Geldinjektion und der Liquiditätsgebühr wäre dann Sache der Experten der Zentralbank, die dafür sorgen würden, dass alles optimal läuft.

Wir sprechen uns in der Tat für eine öffentliche Organisation des Geldes aus. Geld ist ein soziales Konstrukt, das Arbeitsteilung ermöglicht. Deshalb sollte es öffentlich organisiert sein. Wir würden niemals privates Geld verbieten, aber wir glauben, dass es gute Gründe gibt, es öffentlich zu organisieren.

Allerdings hat digitales Geld mit der heutigen Technologie einen entscheidenden Nachteil: Es birgt Datenschutzrisiken. Dieses System könnte wie das heutige zweistufig funktionieren. Bargeld ist anonym, digitales Geld mit der heutigen Technologie nicht. Dies könnte zu Überwachung und Kontrolle führen und muss daher sorgfältig angegangen werden.

Ein weiteres Thema ist die Geldspritze, also die Verteilung von Geld an die Bevölkerung. Wenn die Zentralbank aufgrund des Wirtschaftswachstums die Geldmenge erhöht, um eine Deflation zu verhindern, würde sie die zusätzliche Geldmenge direkt an die Bürger verteilen. Dies ist eine Änderung gegenüber der heutigen Praxis, bei der die Geldmenge indirekt über den Geldschöpfungsgewinn an die Bevölkerung verteilt wird.

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handelt. Es handelt sich lediglich um eine gleichmäßige Verteilung des neu geschaffenen Geldes. Diese Massnahme hat Vor- und Nachteile, würde aber Transparenz und Gerechtigkeit fördern. Es wäre schwieriger, bestimmte Gruppen zu bevorzugen.

Einschätzung zur politischen Chance diese Vorschlages

Was wir hier vorlegen, ist der Versuch, eine Diskussion in Gang zu bringen. Wir sagen: «Hey, wir haben noch Zeit, das global koordiniert anzugehen». Unser Ziel ist es, die Transformation des veralteten Systems aus dem 17. Jahrhundert in ein digitales, marktorientiertes System anzustossen. Unsere Hoffnung ist, dass diese Idee diskutiert wird und dass man darüber nachdenkt, wie sie umgesetzt werden kann. Denn wenn wir das nicht tun, befürchten wir, dass wir früher oder später in eine Krise geraten, in der das Vertrauen in das Geld verloren geht und es zu einer Währungskrise kommt. Das hätte einen dauerhaften Kaufkraftverlust zur Folge, der für eine Gesellschaft äusserst zerstörerisch wäre.

Letztlich geht es nicht nur um Geld, sondern darum, dass wir in einer freien Welt leben können und es allen gut geht. Das ist entscheidend. Das ist der letzte Schritt. Am Ende geht es nicht nur um eine Wirtschaftsordnung. Die Marktwirtschaft war nie rein ökonomisch. Adam Smith war ein Moralphilosoph und eine zentrale Figur der Aufklärung. Seine Idee, dass jeder für sich selbst entscheiden kann, war revolutionär. Die Idee, dass freie Interaktion zu positiven Ergebnissen für die Gesellschaft führt, steht im Gegensatz zu einer Gesellschaftsordnung, in der alles von oben nach unten organisiert ist. Eine funktionierende Marktwirtschaft ist daher für das Funktionieren unserer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft unerlässlich. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir uns dieser Aufgabe dringend widmen müssen.

Jürg, vielen Dank für das Gespräch.

Möchten Sie mehr über das Thema lesen? Hier geht’s zum Buch «Capitalism and the Market Economy».

Disclaimer: Wir haben für den Inhalt dieses Artikels grosse Sorgfalt angewendet. Trotzdem können wir Fehler nicht ausschliessen. Die Gültigkeit des Inhalts beschränkt sich auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Über den Autor

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Felix Niederer

Gründer und CEO True Wealth. Nach seinem ETH-Abschluss als Physiker war Felix erst mehrere Jahre in der Schweizer Industrie und darauf vier Jahre bei einer grossen Rückversicherung im Portfoliomanagement und in der Risikomodellierung tätig.

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